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Wo sich die «Ehe für alle» durchgesetzt hat – und wo sie chancenlos geblieben ist

Wenn die Schweiz am 26. September über die «Ehe für alle» abstimmt, feiern homosexuelle Paare in anderen Ländern bereits ihren zwanzigsten Hochzeitstag. Ein Überblick, wo Lesben und Schwule in Europa und auf der Welt heiraten dürfen.

Es war ein historischer Moment: Am 1. April 2001 kurz nach Mitternacht gaben sich im Amsterdamer Rathaus drei schwule und ein lesbisches Paar das Ja-Wort. Die Niederlande waren weltweit das erste Land, das die «Ehe für alle» öffnete und Homosexuellen das Recht auf Adoption von Kindern zugestanden. Wenig später folgten Belgien (2003) und Spanien (2005), mittlerweile erlauben fast alle westeuropäischen Staaten gleichgeschlechtlichen Paaren, zu heiraten. Ausnahmen sind einzig Italien und die Schweiz. Letztere ist bei der Einführung der «Ehe für alle» ein Bummelzug und bildet damit mit Nachbar Italien das Schlusslicht: Selbst das erzkatholische Irland ermöglicht gleichgeschlechtlichen Paare inzwischen den Bund der Ehe.

Langer Prozess

Für die Politologin Martina Mousson vom Forschungsinstitut gfs.bern hat dies vor allem mit dem politischen System zu tun. Die Schweiz sei generell nicht bekannt dafür, bei politischen Entscheidungen besonders schnell zu sein. Dies zeige zum Beispiel die verspätete Einführung des Frauenstimmrechts. «Es ist nicht so, dass man sich gesellschaftspolitischen Fragen verschliesst. Aber durch unser mehrstufiges System können sich Entscheidungsprozesse lange hinziehen», sagt Mousson. So habe es nach Einreichung der parlamentarischen Initiative im Jahr 2013 relativ lange gebraucht, bis die zuständige Kommission diese behandelt habe. Aktuelle Umfragen deuten nun darauf hin, dass die Vorlage am 26. September angenommen wird. Mit der Schweiz wären es weltweit 29 Länder, in denen sich homosexuelle Paare standesamtlich das Ja-Wort sagen dürfen. Grosse Ungleichheiten gibt es bei der geografischen Verteilung: Die meisten Länder, in denen die Ehe für alle erlaubt ist, liegen in Westeuropa sowie Nord- und Südamerika, auch in Australien und Neuseeland dürfen Homosexuelle heiraten. Demgegenüber sind gleichgeschlechtliche Ehen in den osteuropäischen, afrikanischen, arabischen und asiatischen Ländern in der Regel nicht möglich. Unumstritten war die Öffnung der Ehe allerdings auch im Westen nicht. Fast überall kam es zu politischen Grabenkämpfen. In Frankreich versammelten sich vor und nach Verabschiedung des Gesetzes im April 2013 landesweit Hunderttausende zum Protest, es kam zu Morddrohungen gegen die Befürworter. In Deutschland gab es insbesondere von Seiten der CDU/CSU politischen Widerstand. Nachdem sich der Bundestag am 30. Juni 2017 für die «Ehe für alle» ausgesprochen hatte, erwog der Freistaat Bayern gar eine Verfassungsklage. Interessant: Lediglich in Irland wurde per Volksabstimmung über die Öffnung der Ehe entschieden. Am 22. Mai 2015 sprachen sich mit komfortabler Mehrheit rund 62 Prozent der Irinnen und Iren für die gleichgeschlechtliche Ehe aus.

Wenig Akzeptanz in Osteuropa

Weitaus schlechter ist es um die Rechte von Homosexuellen dagegen in den osteuropäischen Ländern bestellt. Im Ranking der Nichtregierungsorganisation ILGA, das die Rechte von LGBTI-Menschen in Europa misst, gehören Polen, Weissrussland und Russland zu den Schlusslichtern. Zuletzt sorgte in der EU ein Gesetz für Empörung, mit dem der ungarische Premier Victor Orbán sogenannte «Homosexuellen-Propaganda» unterbinden will. Auch in anderen Ländern Osteuropas beklagen LGBTI-Organisationen Diskriminierung und Hetze. Dementsprechend konnte sich die «Ehe für alle» bislang in keinem einzigen osteuropäische Land durchsetzen; lediglich sechs Staaten kennen eine eingetragene Partnerschaft. Laut Roman Heggli, Geschäftsleiter der Schwulenorganisation Pink Cross, sind dafür verschiedene Gründe ausschlaggebend. So habe die katholische Kirche, die traditionell ablehnend gegen die «Ehe für alle» eingestellt sei, in osteuropäischen Ländern einen starken Einfluss. Aber auch bestimmte politische Entwicklungen spielten eine Rolle. «Heute ist es oft so, dass man sich bewusst vom Westen abgrenzen und nicht jede Neuerung übernehmen will», sagt Heggli. Sorge bereiten ihm die rechtskonservativen Regierungen in vielen Ländern Osteuropas. «In Ungarn zum Beispiel hat sich die Lage der Homosexuellen unter Victor Orbán deutlich verschlechtert. Und auch für andere Staaten bin ich wenig optimistisch.» Anzeichen für ein Umdenken gibt es seit einiger Zeit in Tschechien. Im April dieses Jahres sprach sich eine Mehrheit des Unterhauses für einen Gesetzesentwurf zur «Ehe für alle» aus. Gleichzeitig wird allerdings über einen Gegenantrag diskutiert, der die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau festschreiben will. Das letzte Wort in dieser Frage hat der Senat.

Todesstrafe für homosexuelle Handlungen

Weltweit ist die Situation noch verworrener. Insgesamt zwölf Länder haben die Ehe geöffnet, darunter Kanada, Südafrika, Brasilien, die USA und – als bisher einziges Land in Asien – Taiwan. Eine Sonderregelung gibt es in Mexiko, wo einzelne Bundesstaaten gleichgeschlechtlichen Ehen erlauben. Nicht überall ist die Öffnung der Ehe jedoch mit allen Rechten verbunden: So dürfen Homosexuelle zum Beispiel in Chile, Ecuador oder Mexiko keine Kinder adoptieren. In vielen Ländern werden Homosexuelle diskriminiert oder von der Regierung bekämpft. Laut ILGA World wird gleichgeschlechtliche Sexualität in 69 Staaten strafrechtlich verfolgt. In sechs Ländern (Brunei, Iran, Jemen, Mauretanien, Nigeria und Saudi-Arabien) ist für homosexuelle Handlungen gar die Todesstrafe vorgesehen.

Quelle: www.ref.ch, Heimito Nollé, 27. August 2021