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Kirchliche Liegenschaften: Seilziehen um fast hundertjähriges Gebäude

Zahlreiche Kirchgemeinden veräussern Immobilien, weil sie diese nicht mehr brauchen. An wen und zu welchem Preis verkauft werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander, wie ein Beispiel aus der Stadt Bern zeigt.

Was ist ein kirchliches Gebäude, wenn es nicht mehr der Kirche gehört? Und welchen Zweck sollen Pfarr- und Kirchgemeindehäuser erfüllen, wenn sie umgenutzt werden? Diese Fragen stellen sich Kirchgemeinden derzeit landesweit. Und oft wird darüber sehr emotional diskutiert. Aufzeigen lässt sich dies am Kirchgemeindehaus Johannes. Im Berner Nordquartier verbindet es die drei belebten Viertel Breitenrain, Lorraine und Wyler. Es war in seinem fast hundertjährigen Bestehen immer wieder ein wichtiger kultureller und gemeinschaftlicher Treffpunkt. Nun soll es verkauft werden, das hat die Gesamtkirchgemeinde Bern 2021 entschieden. Insgesamt die Hälfte ihrer Liegenschaften will sie über die nächsten Jahre abwerfen. Die Kosten für den Unterhalt sind zu gross, die Zahl der Nutzerinnen ist zu klein. Das Kirchgemeindehaus ist bereits an die RefBernImmo AG (RBI) übergeben worden, die Immobiliengesellschaft der evangelisch-reformierten Gesamtkirchgemeinde Bern. Deren Kleiner Kirchenrat definiert den Auftrag der RBI über die Eignerstrategie und orientiert sich damit auch am Gemeindegesetz. Die Verwaltung des Finanzvermögens muss nach wirtschaftlichen Kriterien erfolgen. Dies gilt auch für den Verkauf von Liegenschaften des Finanzvermögens.

Ein Haus für 45 Gruppen

«Wir träumen von einem offenen Haus», sagt Hannah-Milena Elias. Sie besetzt seit Juni eine von fünf Stellen, die der Verein «Haus der Bewegungen» geschaffen hat. Dieser wurde im vergangenen Jahr gegründet mit dem Ziel, die Liegenschaft zu kaufen und das Haus in seiner Funktion als Quartiertreffpunkt und als Raum für kreative Projekte und soziale Bewegungen zu erhalten. «Wer hier reinkommt, soll sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen und Freude daran haben, Prozesse mitzugestalten.» Elias lacht kurz und gibt dann zu: «Das Haus der Bewegungen ist ein mega Utopie-Projekt!» Genau darin, findet sie aber, liegt auch seine Stärke. «Die Herausforderungen, denen wir auf der ganzen Welt gegenüberstehen», sagt sie, «Bewaffnete Konflikte, Umweltzerstörung, Unterdrückung … all das kann einen ziemlich überfordern. Umso wichtiger ist es, dass Menschen zusammenkommen, Beziehungen untereinander aufbauen.» In Bern gibt es laut Elias zu wenige Orte, an denen sich soziale Bewegungen dauerhaft vernetzen können. Das «Haus der Bewegungen» soll Begegnungen etwa durch gemeinsame Arbeitsräume und ein öffentliches Café ermöglichen. Dazu sollen die Räumlichkeiten für Sitzungen, Workshops, Theatervorstellungen oder persönliche Begegnungen zur Verfügung stehen. Unterstützt werden die drei Hauptinitiantinnen unter anderem von der Feministischen Friedensorganisation und der Klima-Allianz Schweiz. 45 Gruppierungen und Organisationen hätten bereits ihr Interesse bekundet, fester Teil des Hauses werden zu wollen, sagt Elias.

Ein sozialer Preis für ein soziales Projekt?

Neben dem Verein gibt es allerdings noch andere Interessenten. Wie hoch der Kaufpreis für das Kirchgemeindehaus ist, dazu gibt die RefBernImmo AG keine Auskunft. Klar ist: Sie muss mit dem Verkauf einen Gewinn erzielen, auch um andere Ausgaben zu decken: Die Kirchgemeinde Johannes fusioniert kommendes Jahr mit der Kirchgemeinde Markus, und deren Kirche wird aufwändig umgebaut. Neben dem Kaufpreis für die Objekte, muss noch mit mehreren Millionen Franken an Sanierungs- und Werterhaltungskosten gerechnet werden. Zugleich heisst es in der Liegenschaftsstrategie der Gesamtkirchgemeinde aber, Käufer müssten nicht nur nach finanziellen, sondern auch nach ideellen Massstäben ausgesucht werden. Bruno Banholzer, Geschäftsführer der RBI, erklärt auf Anfrage, beim Verkauf von sogenannten ZÖN-Liegenschaften (Zone für öffentliche Nutzung) gelte inoffiziell eine Art Kaskadensystem. An erster Stelle stehe weiterhin die öffentliche Nutzung, wie dies von der öffentlichen Hand angestrebt wird. Eine für die RBI interessante Käuferin wäre demnach etwa die Stadt Bern. Sie verfügt über ausreichend finanzielle Mittel und könnte daran interessiert sein, den Raum weiterhin im öffentlichen Nutzen zu lassen. An zweiter Stelle stehen laut Banholzer andere christliche Glaubensgemeinschaften. An dritter Stelle folgen privatrechtliche Stiftungen und soziale Institutionen – wie eben das «Haus der Bewegungen», dahinter kommen private Investoren. Eines ist klar: Die RBI wird das Kirchgemeindehaus nicht zum solidarischen Preis von einem Franken abgeben, wie sich das die Initiantinnen des Vereins wünschen. Die RBI hat auf Grund der Eignerstrategie keinen Spielraum beim Verkauf. Dieser muss zu marktgerechten Preisen erfolgen. Subventionen könnte höchstens die Gesamtkirchgemeinde sprechen, indem sie den Preis tiefer ansetzt. «Wir müssen zu marktorientierten Preisen verkaufen», erklärt Banholzer, «denn die eingenommenen Erträge fliessen wieder an die Gesamtkirchgemeinde zurück».

Die Kirche als 46. Gruppe

Durch eine Beschwerde, die derzeit gegen die Beschlüsse des Grossen Kirchenrates vorliegt, und der damit verbundenen Unsicherheit über den Realisierungszeitpunkt des Umbaus der Markuskirche, mussten die Verhandlungen fürs erste pausiert werden. Dies verzögert zwar den Prozess, gibt dem Verein aber auch mehr Zeit, um Mittel und Ressourcen zu organisieren. Das «Haus der Bewegungen» spielt mit Utopien. Dass der Verein die Gelder für den Kauf des Kirchgemeindehauses auftreibt, ist dennoch realistisch. Zusammen mit dem Architekturbüro Bürgi Schärer wird im Moment an einer Machbarkeitsstudie gearbeitet, in der mehrere Nutzungsszenarien durchgespielt werden. Das Ziel ist eine Kombination aus solidarischem und tragfähigem Betrieb. Auch eine Zusammenarbeit mit der Stadt wird besprochen. Diese braucht nämlich dringend Schulraum. Und es gibt noch eine Gruppe, die sich gerne im «Haus der Bewegungen» einbringen würde: Die Kirchgemeinde selbst. Das stösst beim Verein nicht nur auf Begeisterung. «Die Diskussionen, die wir aktuell führen, sind von vielen Meinungen geprägt», sagt Hannah-Milena Elias. «Manche Gruppen wollen gar keinen Kontakt mit der Kirchgemeinde, andere sehen ihr Potenzial.» Der Verein hat nun eine Arbeitsgruppe gegründet, in der sich auch Pfarrer Hans Roder engagiert. «Die Kirche hat als Bewegung angefangen», sagt Roder. «Jesus war mit Freunden unterwegs, hat Netzwerke und Hausgemeinschaften gebildet. Die Kirche lebt davon, dass sich Leute engagieren». «Für so viele Menschen macht es einen Unterschied, ob es dieses Projekt gibt oder nicht», sagt Elias. «Die Tatsache, dass die Kirchgemeinde sich uns anschliessen will, zeigt, dass auch sie eine Sinnhaftigkeit darin sieht.»

Quelle: www.ref.ch, Noemi Harnickell, 11. April 2024